Rezension von Yok zu »Eine Scheinwelt namens Realität« von Tintenwolf

Wieder eine Neuerscheinung aus den Reihen des Label-Netzwerks ab-dafuer. Tintenwolf, das ist Meas, ein Einzelpoet, der sich gern und oft musikalische Unterstützung für seine Werke holt. Und die Menschen, die durch diesen Support auf seiner CD gelandet sind, bestimmen die stilistische Diversität. Da geht es querbeet vom Hippie-Chorgesang über ein krasses Metallbrett, hin zu Hip – Hop – Beats und musikalisch untermalten Fantasiegeschichten. Das Einzige, was sich halbwegs konstant über das komplette Album verteilt, ist Meas Stimme. Ansonsten hast du das Gefühl, du hörst einen Sampler. Auch bei der Tonqualität der aufgenommenen Stücke ist so ziemlich alles dabei: Brillante Mehrspuraufnahmen, die ordentlich drücken und nach vorne gehen, aber auch Dinger, wo gefühlt ein Mikrofon in der Mitte eines Waschsalons aufgestellt wurde und 10 Leute versuchen, gemeinsam einen Refrain zu singen, den sie gerade eben das erste Mal gehört haben. Das hat Charme, irritiert aber zuweilen auch. Unsere Ohren sind das nicht gewöhnt, sie haben die Wertschätzung für das Unperfekte verloren.

Inhaltlich spürst du, dass Tintenwolf der Idee des Sozialismus nahe steht. Sowohl in der Vision, als auch in der Gegenwart und Realität. Er hat sich damit beschäftigt, darüber gelesen und ihn, den Realsozialismus, auch bereist. Das ist ihm wichtig und so berichtet er an verschiedenen Punkten über die Facetten und Interpretationen einer jahrhundertalten (guten) Idee.

Es ist schwer, über dieses Album fokussiert zu schreiben, weil es so vielfältig und divers ist. Das sind immerhin 23 Tracks und keiner ist wie der andere. Die verschiedenen Genres deutete ich schon an.

Da kommt auch nach dem fünften Mal hören das Gefühl auf, dass du schon wieder vieles versäumt hast. Das mag gefallen, kann aber auch ermüden. Die CD hat es definitiv verdient, oft gehört zu werden. Tintenwolf ist ein Dichter, ein Schelm, ein Pathoskowski. Er benutzt oft alte Sprache. „Wenn wir nehmen, was bisher uns verboten…“ und Rassismus flammet auf…“ sind so typische Formulierungen, die sich durchziehen. Es ist eine besondere eigene Sprachästhetik, die Meas kreiert und verwendet.

Das aufwendige Booklet, in dem alle Texte nachzulesen sind und das schön gestaltete Digi-Pack machen Spaß beim Betrachten und Durchblättern. Alles scheint mit Bedacht und Sinn zusammengesetzt worden zu sein. Ich möchte das mal positiv „oldstyle“ nennen. Da ist so gar nix nach Marketing-Kriterien entstanden. Scheiß drauf. Tintenwolf ist DIY wie die allermeisten in seinem Umfeld. Und das alles zusammengenommen macht das Album außergewöhnlich. Das Stück, an dem ich mitgewirkt habe (Port Kunterbunt), gehört dummerweise zu den schwächeren. Die Songs, bei denen Albino, Wayne Lost Soul oder Patsy Stone am Start waren, gehen besser ab.

Anspieltipps: Der Kampf geht weiter + Der Hoffnung Keim

Ihr bekommt die CD direkt bei Meas oder könnt online reinhören.

die Rezension findet ihr auch auf der Seite von Yok: https://pocketpunk.so36.net/text.php?text=tintenwolf-scheinwelt